Auszüge aus dem Interview des Vorsitzenden des Ausschusses der Handels- und Industriekammer Russlands für IT und Digitale Wirtschaft  Nikolaj Komlev dem Online-Portal „Russlands Regionen“.

Herr Komlev, wie schätzen Sie aktuell die Lage in der IT-Branche in Russland und der Welt ein? Welche Segmente tragen aus Ihrer Sicht einen stärkeren Schaden?

Das erste Quartal 2020 war durchaus erfolgreich. Die IT-Branche wuchs sowohl in Russland als auch in den meisten Ländern weltweit. Die Ergebnisse des zweiten Quartals werden schlechter ausfallen. Der Einzelhandel funktioniert nicht. Auf dem Verbrauchermarkt funktioniert gerade nur der E-Commerce. Auf dem b2b-Markt wird die Mehrzahl der Verträge fortgeführt, wenngleich mit Zahlungsverzug. Die Neuverträge werden immer seltener abgeschlossen. Die Auftraggeber korrigieren gerade ihre Pläne und Budgets. Die Programme des nationalen Projektes „Digitale Wirtschaft“ werden aktuell stark reduziert.

Ist die aktuelle Pandemie besonders gut dafür, um die Vorteile der Informationstechnologien der Gesellschaft, dem Staat und den Unternehmen zu veranschaulichen?

Den Ausdruck „besonders gut“ würde ich jetzt nicht unbedingt benutzen. Dennoch weiß ich aus eigener Erfahrung, dass die IT-Branche seit 20-25 Jahren einen Dialog mit dem Staat führt, um die Behörden vom Umstieg auf papierloses Dokumentenmanagement zu überzeugen. Jetzt wird sich dieser Prozess definitiv beschleunigen. Unser Ausschuss sammelte viele Vorschläge für das Arbeitsministerium, damit beispielsweise die Arbeitsverträge im Online-Modus abgeschlossen werden könnten.

Welche Jahresergebnisse erwarten den IT-Sektor in 2020 und was erwarten Sie im nächsten Jahr?

Aktuell wäre das ziemlich unverantwortlich jegliche Wirschaftsprognosen zu machen. Aber man könnte vermuten, dass der Staat mithilfe von IT und IKT die Prozesse in der Gesellschaft und in den Unternehmen immer stärker erfassen wird. Parallel dazu kommen wir noch ein Stück näher der papierlosen Dokumentenverarbeitung und Online-Diensten für die Bürger. Auch im medizinischen Bereich wird die Digitalisierung zunehmen. Alle Unternehmen, insbesondere im IT-Bereich, werden sich schneller Richtung Homeoffice bewegen, was wiederum die Entwicklung der Kommunikationstechnologien begünstigen wird.


Auszüge aus den Umfrageergebnissen des Online-Portals CNews „Wie wird COVID-19 dem russischen IT-Markt beeinflussen?

Lev Razumovsky, Präsident der Unternehmensgruppe Ramax

Aus meiner Sicht kann COVID-19 im Wesentlichen drei Kategorien der IT-Firmen betreffen. Erstens, werden die Firmen am meisten leiden, die die Hardware produzieren und dafür die meisten Komponente und Ersatzteile aus dem Ausland, vor allem aus China beziehen. Eine weitere Gruppe sind die IT-Entwickler, die mit den krisengebeutelten Branchen wie Verkehrsunternehmen und Tourismus eng zusammenhängen. Zur dritten Kategorie gehören große internationale IT-Dienstleister und Integratoren, die ihre traditionellen Marketingformate mit Kunden und Auftraggebern – Fachmessen, Konferenzen sowie Seminare – abgesagt haben. In Russland gibt es sehr wenige von solchen Firmen. Den größten Schaden werden daher die Unternehmen aus den ersten beiden Kategorien tragen.

Evgeny Peskin, Direktor für Strategie, IBS

Es wird kurz-, mittel-, sowie langfristige Auswirkungen geben. Kurzfristig gab es bereits Lieferverzüge bei den IT-Komponenten, die entweder in China direkt produziert werden oder dessen Produktion von den Lieferungen aus China abhängt. Nachdem die Einschränkungen auf den chinesischen Fabriken nun aufgehoben sind, werden sich die Lieferketten schnell regenerieren. In mittelfristiger Hinsicht befürchtet man einen Investitionsstau aufgrund der gesamten weltwirtschaftlichen Lage. Denn die IT ist ein investitionsintensiver Sektor. Dieser Effekt wird mindestens für zwei Quartale anhalten, vorausgesetzt die Weltwirtschaft würde nicht in eine tiefere Krise abrutschen.  Ein weiterer mittelfristiger Effekt ist das Streben der IT-Dienstleister und der Endverbraucher nach mehr Unabhängigkeit von China sowie nach einer Diversifizierung der eigenen Produktion. Wir werden mehr Produkte zu sehen bekommen, die in den USA oder auf anderen „lokalen“ Märkten produziert wurden. Langfristig gesehen wird es eine stärkere Nachfrage auf alle IT und IKT-Lösungen geben, die das Arbeiten im Homeoffice ermöglichen.